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Lobpreis der Stille (I)

JUN 30, 2022

Von P. Álvaro de María msp (Spanier)

Als ich mich bemühte, den Inhalt dieses Artikels festzulegen und dabei verschiedene Möglichkeiten erwog, stiess ich aufgrund eines dieser kleinen und eigenartigen, aber doch bedeutungsvollen – weil von der Vorsehung getragenen – «Zufälle», mit denen das Leben uns überrascht, auf einen Artikel von Laien (die für die Werte der Familie eintreten), welcher mir sehr zu denken gab und meine Wahl entschied. Der Artikel betont die Wichtigkeit, in der Stille zu erziehen. Ich gebe einen Teil des Inhalts wieder:

Wir, die wir uns dem Unterricht widmen, nehmen in der Erziehung unserer Jugendlichen den Mangel von etwas Grundlegendem wahr: die Stille. Wenn wir eine Gruppe von Jugendlichen in der Stille sehen, dann starren sie zweifel­los auf die Bildschirme ihrer Smartphones. Auch in den höheren Klassen hindert das Smartphone die innere Stille, die Konzentration, die Einkehr, das tiefergehende Studium. (...) Wenn wir in die Familien hineingehen, finden wir Stille nur vor einem Bildschirm, sei es des Fernsehapparates, des Computers oder des Smartphones. Wie viele Jugendliche sind begeisterte Leser oder in der Stille bei der Lektüre eines Buches anzutreffen? Wenige, sehr wenige! Ohne Stille gibt es keine eigenständigen Gedanken, gibt es keine Analyse, keine Kritik, gibt es keine Konzentration, gibt es keine Reflexion.

Ohne all das gibt es keine Unterscheidungsfähigkeit; und ohne Unterscheidungsfähigkeit sind unsere Jugendlichen Marionetten in der Hand von Marionettenspielern, die sie nicht als das schätzen, was sie sind, sondern als das, was sie darstellen: Stimmvolk. Wir wissen es, aber wir tun nichts, oder nur sehr wenig. Und diese Erziehung muss in der Familie beginnen. Wir müssen unseren Kindern den Wert der Stille vermitteln, die Arbeit ohne Lärm, ohne hörbaren und ohne visuellen «Lärm». Wir wissen, dass wir da gegen den Strom schwimmen müssen, das ist sicher, aber (...) es ist vollkommen möglich, in der Familie zu Mittag oder zu Abend zu essen, ohne das Smartphone vor sich zu haben. Es ist ohne Weiteres möglich, unsere Kinder zu Hausaufgaben ohne Smartphone zu erziehen. Das Problem wird sein, ob wir selbst fähig sind, in der Erziehung mit gutem Beispiel voranzugehen. Durch das Beispiel erziehen ist nicht (irgend)eine Art der Erziehung, es ist die einzige Art der Erziehung.1

Unausbleiblich ist die Kettenwirkung: Es ist Zeichen einer gesunden Person (in psychischer, spiritueller und moralischer Hinsicht), die Fähigkeit zur Stille zu besitzen (innerlich und äusserlich). Und diese Ausgeglichenheit lernt man – so wie fast alles im Leben – schon in der Familie. Danach muss die Person nur noch bestätigen, was sie schon erworben hat. Und hier in der Familie, dem ersten und grundlegenden gesellschaftlichen und kirchlichen Keim, ist es wichtig, zu diesem besonderen Wert der Stille zu erziehen. Stille nicht im negativen Sinn verstanden als Mangel oder Abwesenheit, sondern positiv als die Bedingung für ein Umfeld, das am besten geeignet ist, um zuzuhören und dann ins Gespräch zu kommen. Und wenn wir an diese gesunde Stille in den personalen Beziehungen gewohnt sind, werden wir die beste Vorbereitung haben, um die andere, grosse personale Beziehung zu leben, diejenige mit Gott.

Mich persönlich überrascht und erschreckt zuweilen – bei manchen Gelegenheiten bis hin zur Empörung – die Unfähigkeit von Personen, in der Stille zu verweilen. Auf der einen Seite spüre ich die Gefahr, selbst den Frieden zu verlieren, wenn ich unausweichlich an lärmender Musik oder Unterhaltungen in erhöhter Lautstärke teilnehmen muss; andererseits tun mir die Personen leid, die darin eingetaucht sind – nicht aus überheblichem Mitleid, sondern weil es wehtut zu sehen, wie man sich eines Schatzes beraubt. Aber wie soll man einer Person beibringen, dass diese Fähigkeit zur Stille wirklich ein unglaublicher Reichtum ist, wenn sie darin nicht erzogen worden ist?

Ich erinnere mich, dass vor Jahren eine Person unser Ausbildungshaus in Ajofrín besuchte und mir nach einiger Zeit gestand, sich nervös zu fühlen. Der Grund? Zu viel Stille! Sie war an Lärm gewohnt, an Musik in hohen Frequenzen …, und die Stille führte notwendigerweise dazu nachzudenken, sich mit den eigenen Einbildungen auseinanderzusetzen und mit den Fragen, die sie immer durch Zerstreuung und Übertönen mit jeder Art von Lärm zu verdrängen suchte. 

Das machte mich nachdenklich, und ich liess über einer Tür zum Gang in die Kapelle ein Schild aus Keramik anbringen, worauf geschrieben steht: «Höre die Stille». Auch Pater Giovanni liess schon seit längerer Zeit in unserer Schreinerwerkstätte in der Bubenstadt in Andahuaylillas einige schöne Holztafeln anfertigen, die dann an verschiedenen Stellen in unseren Häusern angebracht worden sind, mit verschiedenen Anspielungen an die Stille, um uns ständig an den Reichtum dieser Gabe zu erinnern: «Liebe die Stille und du wirst den Frieden finden», «Die Stille, Schlüssel zum Herzen Jesu» …

Dabei ist die Stille nicht einfach nur eine Abwesenheit von Lärm. Sie ist das geeignete Umfeld, die Bedingung, durch die Gott sich mitteilt. Gott spricht in der Stille. Und wenn wir nicht diese Stille suchen, laufen wir Gefahr, uns der Begegnung mit ihm zu berauben. Mir gefällt dieses wertvolle Wort des heiligen Johannes vom Kreuz in seinem Geistlichen Gesang, womit er die Beziehung der Seele zu Gott erklärt: «la soledad sonora» (die stimmhafte Einsamkeit). Ein paradoxer Ausdruck, da trotz des äusseren Anscheins von Einsamkeit die Anwesenheit des Allmächtigen gegenwärtig ist; und da diese trotz ihrer Gegenwart in der Stille doch stimmhaft ist, da in ihr seine Stimme vernommen wird.

Wir wollen die Gabe der Stille erbeten und mitwirken in ihr, nicht nur indem wir hie und da durch konkrete Handlungen die Stille suchen, sondern auch eine beständige Art des Still-Seins verinnerlichen.

Freilich, aufgepasst! Es gibt Stille und Stille ... Aber darüber werden wir beim nächsten Mal sprechen, im zweiten Teil dieses Artikels.